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Zusammenfassung: Wahrheit bei Leibniz und Kant (28.11.2017)

1. Das Problem der Korrespondenztheorien

Wir haben es bei den meisten Wahrheitstheorien der Geschichte der Philosophie mit Korrespondenztheorien zu tun.

Doch liegen diese nicht ‚rein‘ vor, sondern sind häufig mit Kohärenztheorien verschränkt. Manchmal kommt noch ein Fünkchen Evidenz hinzu. Evidenz könnte ein Effekt oder Epiphänomen sein, das dann eintritt, wenn ein System besonders kohärent oder ‚korrespondierend‘ ist. Doch bleibt das Evidenzgefühl problematisch, da es manipulierbar ist. Hinsichtlich der Korrespondenztheorie der Wahrheit muss auf der Seite der beiden Relata, welche die Korrespondenzrelation herstellen, zwischen verschiedenen Ebenen unterschieden werden:

————————KORRESPONDENZ————>

Subjekt Objekt
Denken Sein
Erkenntnis Gegenstand
Verstand Welt
Urteil, Proposition, Satz Tatsache

 

Es ist problematisch, von einem Ding auszugehen, an das sich unsere Erkenntnis im Falle von Wahrheit anpassen muss, denn Prozesse scheinen nicht dinghaft verfasst zu sein. Deshalb ist ein besserer Kandidat die Tatsache. Tatsachen sind bestehende Sachverhalten. Im „Bestehen“ besteht ihre Wahrheit. Darum ist jedoch jede Korrespondenztheorie mit dem Vorwurf des Zirkels belastet: Sie setzt bereits das Wahrheitsprädikat voraus, welches sie erst erklären soll.

2. Leibniz‘ Wahrheitsbegriff
Leibniz unterscheidet in seinen Neuen Abhandlungen über den menschlichen Verstand zwischen drei Arten von Wahrheiten: der „moralischen Wahrheit“ im Sinne der Wahrhaftigkeit, der „metaphysischen Wahrheit“, wonach Wahrheit ein Attribut des Seins ist (wie etwa ‚wahres Gold‘) und der „Wahrheit in der Übereinstimmung der Urteile unseres Geistes mit den Dingen, um die es sich handelt“. Leibniz (bzw. der Dialogpartner Theophilus) ist der Auffassung, dass Wahrheit kein Seinsprädikat ist. Ein Grund für diese Auffassung kann darin liegen, dass Sein und Wahres gemäß der mittelalterlichen Lehre vertauschbar sind im Sinne der Transzendentalien. Leibniz untersucht dann die Wahrheitsstruktur von Axiomen, also Grundsätzen unseres Denkens, die „durch sich selbst evident sind“. Dazu gehört der Satz, „daß zwei Körper nicht zugleich an demselben Orte sein können“, sowie derjenige, „daß, wenn man Gleiches von Gleichem abzieht, der Rest gleich bleibt.“ Schwieriger ist es, wenn Ideen wirkliche Dinge in der Welt entsprechen sollen. Hiervon ist nach Leibniz keine ‚demonstrative‘, also erfahrungsunabhängige Erkenntnis, möglich.

3. Kants Wahrheitsbegriff

In der zweiten Auflage seiner Kritik der reinen Vernunft von 1787 widmet sich Kant fast beiläufig dem Wahrheitsbegriff, dem er keine eigene Theorie widmet, sondern der im Rahmen seiner Erkenntnistheorie verortet ist. Kant stellt zunächst fest, dass das Problem bei der Bestimmung der Wahrheit darin liegt, dass man entweder in einen Zirkel gerät (weil man ja ‚wahrhaft‘ definieren muss, um was es sich ‚wirklich‘ handelt), oder schlicht keine Antwort darauf weiß. Hinsichtlich der bloßen „Namenerklärung“ der Wahrheit argumentiert Kant für eine Korrespondenztheorie, insofern „sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntniß mit ihrem Gegenstande sei“. Dagegen komme es darauf an, anzugeben, „welches das allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntniß sei“. Während sich die mittelalterliche Tradition mehr oder weniger im Rahmen der bloßen Namenserklärung der Wahrheit befunden hat, kommt es nun – im Gefolge von Descartes – an, wirkliche Wahrheit jenseits bloßer Definition auf die Spur zu kommen. Deswegen ist eine vorherige Untersuchung unseres Erkenntnisvermögens notwendig (eingewendet kann hier freilich werden, dass ein solches Unterfangen wiederum zirkulär ist: denn was garantiert uns, dass unsere Erkenntnis unserer Erkenntnis wahr ist, wenn nicht wieder eine weitere Erkenntnis usw.?). Kant wendet sich gegen eine allgemeine Bestimmung der Wahrheit als Korrespondenz, weil sich „von der Wahrheit der Erkenntniß der Materie nach […] kein allgemeines Kennzeichen verlangen“ lässt. Wahrheit betrifft immer die konkrete Materie, nicht die allgemeine definitorische Form. Die logisch-formale Kohärenz einer Erkenntnis ist noch nicht hinreichend für Wahrheit, sondern nur notwendige Bedingung. Kohärenz impliziert nicht Korrespondenz: „Denn obgleich eine Erkenntniß der logischen Form völlig gemäß sein möchte, d.i. sich selbst nicht widerspräche: so kann sie doch noch immer dem Gegenstande widersprechen. Also ist das bloß logische Kriterium der Wahrheit, nämlich die Übereinstimmung einer Erkenntniß mit den allgemeinen und formalen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft, zwar die conditio sine qua non, mithin die negative Bedingung aller Wahrheit: weiter aber kann die Logik nicht gehen, und den Irrthum, der nicht die Form, sondern den Inhalt trifft, kann die Logik durch keinen Probirstein entdecken.“ Die bloße Logik erzeugt den Schein von Wahrheit, sie ist nur ein „vermeintes Organon (Werkzeug)“ er Wahrheit, was Kant auch als „Dialektik“ bezeichnet. Logik wird so verstanden zu einer Angelegenheit, die sich nur um sich selbst dreht, aber keinen Bezug zu den Gegenständen der Erkenntnis herstellen kann: „Eine sophistische Kunst, seiner Unwissenheit, ja auch seinen vorsetzlichen Blendwerken den Anstrich der Wahrheit zu geben, daß man die Methode der Gründlichkeit, welche die Logik überhaupt vorschreibt, nachahmte und ihre Topik zu Beschönigung jedes leeren Vorgehens benutzte“. Was aber ist der gesuchte „Probierstein“ der Wahrheit? Die formale und logische Kohärenz ist nur der „negative Probierstein“. Wahrheit ist nach Kant also zweistufig angelegt. Zunächst muss eine logische Kohärenz gegeben sein, dann muss noch ein Moment der Wirklichkeit hinzutreten, was die Korrespondenz schafft. Dies ist nach Kant die von Außen gegebene Anschauung, die durch die Begriffe des Verstandes zu einem Objekt konstituiert wird. Damit denkt Kant auf subjektive Weise Kohärenz und Korrespondenz zusammen.


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