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Augustins Begriff des Geistes (22.11.2017)

Augustins Geist-Begriff unterscheidet sich in verschiedenen zentralen Hinsichten von den Theorien Platons und Aristoteles‘. Das entscheidende Merkmal ist seine Selbstreflexivität. Anders als ein Auge, das sich selbst nicht sehen kann, ohne einen Spiegel zu gebrauchen, ist nach Augustinus der Geist (lat. mens, f.) immer schon auf sich selbst bezogen. Ähnlich wie später Descartes argumentiert Augustinus, dass bereits der Akt des Suchens den Geist sich selbst finden lässt: „[W]enn der Geist sich zu kennen sucht, dann weiß er schon, dass er Geist ist“ (De Trinitate, X, 103). Das Suchen selbst scheint eine Form des Geistigen zu sein. Augustinus unterscheidet nun drei Dimensionen dieses selbstreflexiven Geistes: Erinnerung (memoria), Einsicht (intelligentia) und Wille (voluntas). Diese drei sind nicht als Substanzen oder isolierte Wesenheiten zu denken, sondern drei Momente oder Formen der einen lebendigen Substanz, die Augustinus „Leben“ (vita) oder „Geist“ (mens) nennt. Alle Momente des Geistes sind ihrerseits wiederum selbstreflexiv verfasst und zudem durch ihre „beziehentliche Wirklichkeit“ (relative): Sie werden immer „in Beziehung ausgesagt“. Augustinus formuliert die komplexe gegenseitig Bezogenheit der drei Momente des Geistes folgendermaßen: „Was immer an Einsichtigem aber ich erinnere und will, das sehe ich folgerichtig auch ein. Auch mein Wille umfaßt meine ganze Einsicht und meine ganze Erinnerung, solange ich nur die Gesamtheit dessen, was ich einsehe und erinnere, gebrauche. Wenn daher von jedem Einzelnen alle insgesamt und ganz erfaßt werden, dann / ist jedes einzelne als ganzes jedem anderen als ganzem gleich; ebenso ist jedes einzelne als ganzes zugleich allen als ganzen gleich, und diese drei sind eins (unum), ein Leben (vita), ein Geist (mens), ein Wesen (essentia).“ (127). In dieser dreifachen Relationalität ist der Geist nach Augustinus ein „ungleiches Bild“ (impar imago), also eine schwache Analogie der Trinität Gottes Gottes, des „hohen und erhabenen Wesen[s]“. Es handelt sich also nicht um ein direktes Abbild-Verhältnis, sondern im Platonischen Sinne um ein einen Abglanz, so wie die Sinneswesen in der Welt ontologisch nur schwache Abbilder von ihren Ideen sind.

Durch seine selbstreflexive und relationale, ja vitalistische Konzeption des Geistes unterscheidet sich Augustinus deutlich von den jeweiligen Theorien Platons und Aristoteles‘. Nach Platon besteht die Seele aus dem triebhaft-begehrlichen (epithymētikón), dem muthaften bzw. entscheidungskräftigen (thymoeidés) und dem vernünftigen (logistikón) Teil. Nach Aristoteles ist die Seele dreifach gestuft. Als Basis dient die Nährseele, die alle Pflanzen besitzen, dann tritt bei Tieren die wahrnehmende Seelenfunktion hinzu. Schließlich verfügt der Mensch über einen passiven Verstand (nous pathetikós), der natürlich gegeben ist, sowie einen hinzutretenden aktiven Verstand (nous poietikós), der die intelligiblen Formen aus den Gegenständen durch Abstraktion analysieren kann. Bei Augustinus hingegen steht das willentliche Moment selbst in einer untrennbaren Wechselwirkung mit dem intelligiblen. Alle menschlichen Seelenteile sind reflexiv in einen umfassenden Begriff des Geistes als Momente integriert.


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